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SETTIMA ESTATE MUSICALE Dl RAVENNA
La Bohème
(Auszug)
Die namhafteste Besetzung bot die „Bohème“ mit den alternierenden José Carreras/Veriano Lucchetti, Katia Ricciarelli/Mietta Sighele und Lorenzo Saccomani/Alberto Rinaldi/Orazio Mori. In der von mir besuchten Aufführung am 2.8.1983 bot José CARRERAS (Rodolfo) eine überzeugende Leistung, die an seine gute Disposition anläßlich seines kürzlichen Wiener Kalaf-Debüts erinnerte. Besonders im ersten und vierten Akt demonstrierte er tenoralen Schmelz in der Höhe und Stehvermögen in der Mittellage. Im zweiten Akt hatte man allerdings den Eindruck, daß auch seiner Stimme der in einer Freiluftveranstaltung herrschende Zwang, fast ständig zumindest mezzaforte zu singen, nicht gut tut. Seine durch ihre jüngsten Scala-Erfolge neugierig machende Partnerin Mietta SIGHELE (Mimi) wagte einige wunderschöne, in den Nachthimmel gehauchte piani, die man eigentlich nur von Mirella Freni kennt, und beeindruckte durch feine lyrische Aufschwünge. Etwas ältlich in der Erscheinung, stimmlich aber profund und darstellerisch agil wirkte Alberto RINALDI (Marcello). Eine kecke und sichere Musetta war Margherita GUGLIELMI, die beim Publikum ebenso guten Anklang fand wie Carreras und Sighele. In den Comprimarii-Partien fanden sich nur regional bekannte Solisten, die sich aber im Gegensatz zu mancher Besetzung an deutschen Häusern nahtlos einfügten. Zu erwähnen ist Giancarlo LUCCARDI (Colline), ein Baß ohne große Strahlkräfte, der aber die Mantelarie mit Inbrunst sang. Zoltan PESKE am Pult hatte es mit dem auf hohem Niveau musizierenden Orchester und dem einsatzfreudigen Chor nicht schwer. Die Inszenierung von Flavio AMBROSINI vermittelte in den naturalistischen Bühnenbildern von Koki FREGNI den Eindruck einer sicheren Hand. So temperamentvoll und reich an komischen Akzenten habe ich den zweiten Akt bisher noch nicht gesehen. Im ersten und vierten Akt gelang es dem Regisseur sogar, den intimen Charakter des Werkes zu vermitteln, als handele es sich um eine Aufführung im geschlossenen Raum eines mittelgroßen Hauses. Dies sei besonders hervorgehoben, weil eine Inszenierung auf den zumeist groß dimensionierten Freilichtbühnen allzu leicht „zerfließt“.
Klaus-Ulrich Groth