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Oper und Konzert 9/1980
Aida 2.8.1980
Großes Festspielhaus
Studiert man die Rezensionen über „Aida“, die Herbert von KARAJAN im Großen Festspielhaus 1979 inszenierte und auch heuer wieder (vorläufig zum letzten Mal) dirigiert, dann müßte sich jeder glücklich preisen, der diese letzte Schmierenproduktion des Abendlandes nicht gesehen hat. Daß die Kartenvorbestellungen ausgereicht hätten, um „Aida“ in diesen fünf Festspielwochen en Suite zu spielen, steht in merkwürdigem Gegensatz.

Wie seit mehr als 25 Jahren kann man sich natürlich auch hier über die Inszenierung durch Herbert von Karajan streiten, Anhänger von Chereau, Friedrich oder Noelte werden die Köpfe schütteln. Aber warum verdammen, warum nicht ein sängerfreundliches Opernarrangement als Alternative zu unserem sonstigen „Musiktheater“ gelten lassen? Herbert von Karajan vertritt nun einmal die „altmodische“ These, auf der Opernbühne sollten die Sänger zumindest dann herrschen, wenn sie Könige seien. Und mit Mirella FRENI, Ruza BALDANI, JOSÉ CARRERAS und Piero CAPPUCCILLI hat er der Welt erlauchtestes „Aida“-Ensemble versammelt. Es wäre vollkommen, sänge Ruggero RAIMONDI nicht den Ramphis, sondern wie im Vorjahr den König; da war er nämlich großartig, während Agostino FERRIN bestenfalls ein Provinzstatthalter ist — und Nikolai GHJAUROV ist unersetzlich, als Ramphis, wie in anderen Partien.

Aber die vier Solisten sind ja nun nicht nur Weltbeste im Belcanto, ihnen ist auch eine natürliche Schauspielerpotenz zu eigen und eine ganz unvergleichliche dramatische Ausdrucksgewalt in der Stimme. Wenn Mirella FRENI auf der Tempelterrasse über dem Niltal steht und. den Rücken dem Publikum zugewandt, in die unendliche Weite Ägyptens klagt „Patria mia mai piu vedro“, die Holzbläser den Schmerz fortspinnen, dann wird für ein paar Augenblicke das Leid aller Heimatlosen, Entwurzelten gegenwärtig. Gibt es denn überhaupt eine „Regie“, die der Aussagekraft der menschlichen Stimme gleichkäme? Hier soll nicht für oder wider Persönlichkeiten des heutigen Theaters polemisiert werden, nur geworben werden für gegenseitiges Achten verschiedenen Opernverständnisses. Gigantomanie gehört wohl zu „Aida“, ähnlich wie das zuvor entstandene „Don Carlos“Autodafe ist das Triumphmarschbild ein Gruß Verdis an Meyerbeer. Und Herbert von Karajan musiziert ihn nicht als schüchterne Kammermusik. Rein vom Optischen her muß man in Salzburg hoffen, daß Österreich während der Festspielsaison nicht in einen Krieg verwickelt wird, denn das halbe Bundesheer ist zur Statisterie abgeordnet; hoffentlich sind nicht alle Gebirgsjäger so schwindelanfällig, wie so mancher auf oberster Pyramidenstufe Angeseilte. Ägyptologen werden bemängeln können, daß man auf der Bühne für „Aida“, die „zur Zeit der Pharaonen“ spielte, so ziemlich alles sehen kann, was zur Zeit der Pharaonen gebaut wurde — und die beherrschten ja einige Jahrhunderte. Aber man sollte sich nicht ärgern, auch das Museum in Kairo ist ja noch nicht säuberlich nach Epochen aufgeräumt. Ein bisserl verwunderlich ist das wie ein Aufzug in der Bühnentiefe verschwindende Felsengrab — die Idee, das Liebespaar werde von dem ewig wehenden Sande des Nillandes zugedeckt, will sich nicht recht mitteilen ...

Aber man sollte sich über Details nicht ärgern, nicht einmal über die unsägliche Choreographie John Neumeiers; ob hier einer gewagt hat, den berühmten Namen als Pseudonym zu wählen? John Neumeier kann es doch unmöglich selbst gewesen sein. Man sollte zuhören: wie ein José CARRERAS nach herzzerreißenden gewaltigen Ausbrüchen noch im Schlußduett die Seele dieser Ges-Dur Melodie im Pianissimo aufdecken kann, wie ein Piero CAPPUCCILLI königlich zu verfluchen versteht und väterliche Güte in jede Note legt, wie eine Ruza BALDANI das Schmähend-Verhöhnende der Amneris und die Armut trotz aller Pracht singend erzählen kann, wie eine Mirella FRENI alle Gefühlsskalen auszudrücken versteht, wie Herbert von Karajan, seine Sänger und die WIENER PHILHARMONIKER Leidenschaften und Nöte von Verdis Menschen in Musik kund tun. Wann außer bei Claudio Abbados Scala-,,Aida“ hat man dies Werk im letzten Jahrzehnt auf der Welt
so bewegend gehört wie hier? KA
 

KA