Zum Inhalt/To index
 
 
 
 

Opernwelt 2/1980

 

Frankfurt    Opernkonzert Ricciarelli/Carreras    1.9.81

 

 

Mit einem gut dreiwöchigen Festival demonstrierte die neue „Alte Oper“ nach ihrer feierlichen Eröffnung erstmals ihre vielseitige Verwendbarkeit. Die „Frankfurter Feste“ sollen auch in den kommenden Jahren bleibender Bestandteil im kulturellen Geschehen der Mainmetropole sein. Diesmal gliederte man die neu kreierten Festspiele der besseren Überschaubarkeit wegen in drei parallellaufende Reihen auf — und „Orchesterkonzerte und Solisten“ war hierbei sicherlich der aufwendigste Zyklus:
Bekanntlich wird die „Alte Oper“ dem Musiktheater, von gelegentlichen Gesamtgastspielen abgesehen (beispielsweise Ende September das der Bad Hersfelder Festspiele mit Monteverdis „Oreo“), kein Podium mehr bieten. Darüber hinaus will lediglich eine neue Abonnementsreihe. die „Schöne Stimmen im Opernkonzert“ offeriert, regelmäßig an die ursprüngliche Nutzung des Hauses erinnern.

Den Reigen der Gala-Abende mit dem internationalen Opern-Jetset eröffneten am 1.9. im Grossen Saal KATIA RICCIARELLI und JOSE CARRERAS mit einem reinen Verismo-Programm. Und das aus gutem Grund; denn „nur“ Puccini und Giordano, deren Werke in diesem Konzert dominierten, zu singen, ist weniger anstrengend, erlaubt weit eher und leichter, Stimmen vordergründig glänzen und strahlen zu lassen, als dies beispielsweise bei Verdi, dessen Name in der Vorankündigung genannt wurde, möglich ist. Nur tut man allen italienischen Komponisten nach Verdi — Puccini teilweise ausgenommen — keinen Gefallen, wenn man einzelne Bruchstücke aus dem strikten Gesamtzusammenhang ihrer Opern herauslöst und wahllos nebeneinanderstellt. Was nämlich im Ganzen auf der Bühne durchaus wirkungsvoll ist, offenbart doch oft im Detail, wenn es des szenischen Kleides beraubt ist, zu wenig musikalische Substanz. auch was den Orchesterpart angeht.
Ärgerlich war zudem, daß die Dauer der einzelnen Musikstücke unter dem Strich allzu knapp bemessen war. Immerhin schaffte man es, das höchstens einstündige Programm von acht Arien, zwei Duetten und vier Orchesterstücken mittels genüßlich zelebrierter Auf- und Abtritte. enervierend zerdehnter Unterbrechungen zwischen den einzelnen Musikhäppchen und einer längeren Pause, auf gut zwei Stunden zu strecken.

Ein in seiner Zusammenstellung also eher mittelmäßiger Abend — leider auch, was beide Solisten betraf. Kein Zweifel, beide besitzen das, was man außergewöhnliches Material nennt, beide wissen auch, ihre stimmlichen Stärken ins rechte Licht zu setzen. Doch auch deutliche Schwächen (als Folge von Raubbau?), die noch vor einigen Jahren — an ihren Schallplatten läßt sich dies nachweisen - nicht vorhanden waren, lassen sich mittlerweile nicht mehr kaschieren.

Dem großvolumigen Sopran Katia Ricciarellis, der im vibratoreichen Forte bisweilen zu scharf und grell wird, mangelt es inzwischen vor allem an für die italienische Oper so wichtigen Zwischentönen. Stattdessen flüchtet sich die Sopranistin zu oft in hingehauchte, manieriert wirkende pianissimi, die auch schon mal auf den hohen Noten, wie in dem anfangs gesungenen ‚.Sogno di Doretta“ aus Puccinis „La Rondine“ wegkippen können. Am vorteilhaftesten klingt die Stimme der Ricciarelli heute im Mezzaforte. Und damit ist sie leider nicht allein, denn auch der einstmals so leicht geführte Tenor von José Carreras ist schwerer und unflexibler geworden. So sang er beispielsweise Rodolfos .‚Che gelida mannina“ aus „La Boheme“ viel zu sehr unter Überdruck, zu wenig auf Linie, mußte gar das von Puccini ökonomisch in die aufsteigende Kantilene eingebaute hohe C unnötig und glanzlos forcieren.
Beide Sänger machten den meisten Effekt in den affektreichen Arien und dem hymnischen Schlußduett aus Giordanos „Andrea Chenier“. Für die restlichen Puccini-Arien („Manon Lescaut“ und „Tosca“) hätte ich mir mehr gesangliche Differenzierung gewünscht.

Am Pult des, von gelegentlich zu grellen Blechbläserakkorden abgesehen, klangschön musizierenden Radio-Symphonie-Orchesters Berlin begleitete RICCARDO CHAILLY die Aneinanderreihung der kurzen Gesangspiècen mit sparsamer, akurater und unaufdringlicher Gestik. Lediglich bei drei Intermezzi („I Pagliacci“,,,Cavalleria rusticana“ und „Manon Lescaut“) und dem eingangs gespielten „Preludio Sinfonico“ Puccinis —einem recht seichten, eigentlich nur als Instrumentationsstudie gedachten Jugendwerk von 1876 — standen das Orchester und sein designierter Chef im Mittelpunkt.