Zum Inhalt/To index
 
 
 
 
Opernwelt 6/1983
Alter Hut mit neuen Federn
STAATSOPER WIEN - Luisa Miller Neuinszenierung
Ein neuer Regisseur, ein neuer Dirigent, hervorragende neue Solisten — geblieben aber sind die alten, häßlichen Bühnenbilder der Erstaufführung an der Wiener Staatsoper von 1974.

Daß man die Moritat durchaus erträglich darstellen kann — denn das Libretto von Cammarano ist glänzend gebaut — bewies kürzlich das Landestheater Innsbruck. Die Wiener Staatsoper dagegen hat mit ihrer letzten Inszenierung diese Chance vertan und ist um einen Horrorkitsch reicher.

Dabei begann alles recht positiv: mit einem Vorspiel voll gespannter Unruhe, aufgepeitschten Orchesterwogen, energiegeladen, mit eruptiven Beckenschlägen, aber auch voll lyrischer Passagen in zartem, gleitenden Melos, geschickt gelenkt von Anton Guadagno. Doch was sich nach Öffnen des Vorhanges präsentierte, war schlichtweg scheußlich. Düstere Kerkermauern, darin eine massive Blockhütte nebst steinernem Kirchlein, vermooste, ruinöse Säulen — das Schloß des Grafen andeutend, dessen Schreibtisch im kirchhofähnlichen Garten steht, Treppenstufen, zerbrochene Balustraden, das Innere der Blockhütte, mal mit Webstuhl, mal stattdessen mit einem Wandregal voller Pfeifenköpfe. Die Bilder schuf Günther Schneider-Siemssen, die dazu passenden unscheinbaren dunklen, meist grau-braunen Kostüme Leo Bei.

Das Stück beginnt heiter mit Luisas Geburtstag und vielen fröhlichen Dorfbewohnern, die ihr Blumen und Kränze bringen. Von all dem erkennt man kaum etwas, denn auf der Szene herrscht permanente Nacht. In dieser läßt Elmar Ottenthal nun mit erschreckender Outrage agieren. Vor allem die Chormassen, die ständig auf den Knien liegen oder theatralisch die Hände ringen. Schlimmster Regiefehler: das Innere des Bauernhauses, eigentlich nur dem Publikum einsehbar, ist trotz seitlicher Wandbegrenzungen auch den Choristen kein Geheimnis. Sie kommentieren alle Vorgänge in Luisas Zimmer durch entsprechende, pathetisch-verzweifelte Reaktionen. Und damit auch der Ahnungsloseste im Publikum kapiert, was es dort oben auf der Bühne geschlagen hat, bekommt der bleiche Bösewicht Wurm, eine Art Freischütz-Samiel, immer noch einen extrastarken Lichteffekt. Kurz vor Ende jeder Szene leuchtet ein knalliger Scheinwerfer die jeweils bedeutenden Handlungsträger barbarisch heraus aus totaler Finsternis — dann fällt rasch der Vorhang.

Daß man die dunkle Trostlosigkeit, die neckischen Kletterkünste neugieriger Dorfbuben, die über eine Mauer logen, die lächerlichen Requisiten — vor allem die ungeschickt plazierte Tasse mit der vergifteten Milch, das enorme Aufgebot an Schergen zur Verhaftung eines einzigen Menschen — des ahnungslosen Vaters Miller — die kerzentragenden Diener, die wie ein Beerdigungscorps wirken, überhaupt akzeptiert, ja, all die Inkonsequenzen schließlich vergißt, ist einzig der Sängerelite zu danken, die Verdi hautnah zu vermitteln versteht.

Da ist zunächst Jose Carreras zu nennen, schlank und rank, wie ein junger Mozart gewandet, mit seiner schönen, weichen Höhe, seinen wunderbar ausgesponnenen Kantilenen, voll Leidenschaft und Überzeugungskraft — ein stolzer, fast im Sinne Schillers „ein deutscher Jüngling. Ihm ebenbürtig versteht Katia Ricciarellis Luisa durch subtile Phrasierungskunst, excellente Farbschattierungen ihrer schwierigen Koloraturen, durch Sensibilität in Ton und Gebärde, ganz Hingabe und Verinnerlichung, zu rühren. Ihre Todesszene gelang im wahrsten Sinne des Wortes überirdisch verklärt. Giorgio Zancanaro verleiht dem Vater Miller mit vollem Orgelton und beredtem Spiel Profil. Peter Wimberger, kraftvoll und herrisch, macht als Graf eine gute Figur, Kurt Rydl, der dämonische Wurm, läßt mehr durch Gesangskunst denn durch allzu effekthaschende Gebärden erschauern. Etwas verhalten klingt Rohangiz Yachmis Herzogin von Ostheim, stimmlich überzeugend besetzt waren selbst die Nebenrollen. Höhepunkt der Oper: die Verschwörungsszene Walter/Wurm und das a-capella-Quartett des zweiten Aktes sowie die wunderbar durchsichtig geführten Liebesszenen. Mit den kraftvollen, von Verdi etwas nebensächlich behandelten Chören wurde das konzertante Opernereignis — denn die szenischen Unzulänglichkeiten vergißt man besser — zum wahren Ohrenschmaus.
Dr. Irene-Marianne Kinne