Zum Inhalt/To index
 
 
 
 
Orpheus 4/1980
Gaetano Donizetti - Roberto Devereux
Hamburger Staatsoper (01.03.1980)
Konzertante Aufführung
Elisabeth — Montserrat Caballé. Herzog von Nottingham -- Franco Bordoni, Sara - Alicia Nafé Roberto Devereux — José Carreras, Lord Cecil -Thomas Herndon, Sir Raleigh — Carl Schultz, Ein Page / Ein Gesandter -- Helmuth Grundmann Dirigent -- Gianfranco Masini, Chöre — Jürgen Luhn

von MICHAEL ARNDT

Für zwei Aufführungen verwandelte sich die Hamburgische Staatsoper wieder in einen Tempel des Belcanto. Gaetano Donizettis Opern-Opus 57 (70 immerhin komponierte der Vielschreiber innerhalb seines kurzen Lebens) widerfuhr allerdings nur, wie schon bei der Premiere am Neujahrstag 1978 die konzertante Ehrenrettung. „Roberto Devereux wünschte ich durchaus einmal die szenische Wiedergabe diese dramatische Musik schreit geradezu nach der Bühne. Daß man in Hamburg sich nur mit dem Akkustischen begnügte — das jedoch nahezu optimal -hatte wohl eher äußerliche Gründe. Um lang Vergessenes auf breites, kostendeckendes Interesse stoßen zu lassen, braucht es halt eine prominente Besetzung. Das Opernpublikum verweilt nämlich immer noch allzu sehr in ausgetretenen Pfaden, geht weniger in die Oper, um „Roberto Devereux" von Gaetano Donizetti zu sehen und zu hören, sondern um Caballé, Carreras u.a. zu erleben. Auf diese Zugpferde kann man nicht verzichten; sie jedoch für eine lohnende Zahl von Aufführungen, für die aufwendigen szenischen Proben zu verpflichten, dafür mangelt‘s an Finanzkraft. Deshalb begnügt man sich mit dem Konzert. Freilich geriet dieses am 1.3. eher zu einem „Semi-Konzert“ oder besser zu einem "Semi-Drama". Wer ist bloß auf die Idee gekommen, die Solisten ständig auf- und abtreten zu lassen, als befänden sie sich in einer Bühnenaufführung? Abendkleid, Frack und Klavierauszug standen in krassem Widerspruch dazu. Sicher läßt sich ein Vollblutsingschauspieler auch während eines Konzertes nicht gänzlich die opernhafte Gestik abschminken. Aber mußte denn das solche Auswüchse annehmen? Wenn schon konzertante Oper, dann auch völliger Verzicht auf dieses, hier nur albern wirkende, Drumherum. Lieber hätten die Sänger während ihrer Gesangspausen die dafür vorgesehenen Stühle auf dem Podest nutzen sollen, als ein derart enervierendes Auf und Ab zu exerzieren. So freilich waren die Sitzgelegenheiten eher überflüssig. Das gab Gelegenheit zu einer zirkusreifen Gaudi: Der Primadonna assoluta des Abends — ja, es gibt sie immer noch! — waren die Stühle offenbar im Weg. Kurzerhand packte sie zunächst den einen und knallte ihn wutschnaubend neben das Dirigentenpult. Als sich ihr die erste Gelegenheit bot, die Bühne zu verlassen, nahm sie dann die beiden anderen, die Bühnenarbeiter entlastend, mit ins Abseits. Langweilig war‘s also auch für‘s Auge nie. Aber mußte denn das so sein?

Wenigstens der musikalische Teil verlief ohne Pannen. Ja, man konnte fast völlig zufrieden sein. Zunächst einmal wäre GIANFRANCO MASINI zu nennen. Er hatte anstelle des Premierendirigenten Julius Rudel die musikalische Leitung übernommen und erwies sich als ausgesprochen versierter Kenner italienischen Belcantos. Präzise, feinfühlig, aber auch den elektrisierenden Effekt nicht außer Acht lassend, gab er dem Abend mit dem tadellosen Philharmonischen Staatsorchester -- herrlich die samtigen Streicher, die delikaten Holzbläsersoli — den idealen instrumentalen Rahmen. Schon die glänzend strukturierte Ouvertüre (von Donizetti für Paris nachkomponiert) entfachte Begeisterungsstürme.

Die makelloseste sängerische Hochleistung erbrachte nicht die Prima — sondern die Seconda Donna: ALICIA NAFE. Ein überaus schöner Mezzosopran von großem Umfang, eine bestechend lupenreine Gesangstechnik bester Belcanto-Tradition, dazu eine hinreißende dramatische Erfüllung der Partie zeichneten die sympathische Sängerin aus. Schade, daß Donizetti der Sara bis auf das kurze Introduktions-Arioso keine größere Soloszene komponierte; an diesem Abend hätte man es sich gewünscht. Ihr Duett mit JOSE CARRERAS (Roberto) war jedenfalls für mich der absolute Höhepunkt dieses Konzertes. Carreras zeigte sich stimmlich in Top-Form. Doch geht er bisweilen allzu unbekümmert um mit seinem prächtigen Tenormaterial. Gesanglich dominierte bei ihm ein relativ stereotypes Mezzoforte. Beim Ausflug in leisere Regionen konnte er einige Mühsal nicht ganz verhehlen. Jedoch dieses nur als kritische Randbemerkung. Mit dem Herzog von Nottingham war erstmals FRANCO BORDONI, ein ziemlich robuster und voluminöser Bariton, zu hören, der sich redlich und auch erfolgreich um kultivierten Ausdruck bemühte.

Von vornherein zum „Star“ des Abends gekürt wurde MONTSERRAT CABALLE (Elisabeth). Schon ihr bloßes Auftreten entfachte, ohne Rücksicht auf die fortfahrende Musik, Applaus; Musikästheten zischten dagegen. Es ist immer wieder das gleiche Ritual, wenn sie singt. Es lebe der Star-Kult!? Ihr Markenzeichen, die leichten, fast überirdischen Pianissimi hat sie immer noch drauf. Doch spielt sie inzwischen allzu sehr mit derlei Finessen. Merke: allzu oft ist auch oft zu viel, wirkt meist maniriert. Zumal fand sie oft zwischen den Extremen stimmlicher Dynamik keine Zwischenstufen. Beeindruckt war man hingegen dennoch. Von größerer Eindringlichkeit wäre sie vermutlich in einer Bühnenaufführung gewesen, davon kündete ihre dramatische, hier fehlplacierte Gestik. Ausgezeichnete Stichwortgeber (THOMAS HERNDON, CARL SCHULTZ, HELMUT GRUNDMANN) und ein eindringlicher Opernchor (Einstudierung: JÜRGEN LUHN) rundete das Belcanto-Fest ab.

Der enthusiastische Schlußbeifall bekundete sicher — möchte ich hoffen — auch Hochachtung vor dem Komponisten und seinem Werk. Mehr Donizetti, Bellini und Rossini — vielleicht gar einmal szenisch — wäre schon sehr schön.

KA