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Orpheus 3/1980
La Bohème
Staatsoper Hannover
Auch in dieser Spielzeit finden wieder fünf „besondere Opernabende" statt. „Besondere“ deshalb, weil an diesen Abenden international anerkannte Gesangssolisten in der Staatsoper Hannover gastieren. Das Besondere an dem ersten Abend Puccinis „La Boheme“ - war, daß das hauseigene Ensemble zum größten Teil den Gästen vollkommen ebenbürtig war. In der flexiblen Inszenierung von PIERRE LEON gastierten ADRIANE MALIPONTE als Mimi und JOSÉ CARRERAS als Rodolfo. Frau Maliponte ging ihre Partie stimmlich zunächst sehr behutsam an, wußte sich aber im Laufe des Abends dank ihrer ausgezeichneten Gesangstechnik zu steigern. Die Stimme ist nicht sehr groß an Volumen. doch gelang es der Sängerin. ihre Töne resonanzreich zur blühenden Höhe zu führen. Darstellerisch erschien sie weniger zerbrechlich als andere Mimis, konnte aber in den beiden letzten Akten an Dramatik gewinnen. JOSE CARRERAS ist mehr Zwischenfachsänger als lyrischer Tenor. Seine Stärke besteht im Setzen weitgespannter Bögen, während ihm der besonders an diesem Abend für den Rodolfo lyrische Schmelz fehlt. Das bedingt ein gewisses Unbeteiligtsein in den ersten beiden Akten. Doch dann gewann seine Darstellung zusehends an Intensität. Seine blendende Erscheinung nimmt sehr für ihn ein, im letzten Akt erschien er emotional recht glaubwürdig. Zu höherer Phrasierungskunst gestaltete sich das Duett mit dem ausgezeichneten Marcello von HELMUT GUHL im letzten Akt.

Auch WOLFRAM BACHS Schaunard und LORENZ MINTHS Colline - besonders schön vorgetragen die Mantelarie — hielten das hohe gesangliche Niveau der Aufführung. Lediglich GERTRAUD WAGNER als Musette fiel dabei sehr ab, die Farblosigkeit durch Überspanntheit zu ersetzen suchte. Außerdem war sie stimmlich den Anforderungen der Partie nicht gewachsen. Im Orchester der Staatsoper gab es viel solistischen Farbenreichtum. Der Dirigent KNUT MAHLKE vollbrachte eine großartige Leistung, indem er nicht nur die Sänger einfühlsam begleitete, sondern darüber hinaus stimmungsvoll musizierte. So war das Besondere dieses Abends nicht etwa das Gastspiel zweier internationaler Gesangstars, sondern die Geschlossenheit der Aufführung. Man sollte bemüht bleiben, dieses auch ohne Gäste im Opernalltag öfter zu erreichen.